Glaubens- & Gesellschaftsentwicklung

Ein Gottesstaat Syriak im Zweistromland? „Ein Staat im herkömmlichen Sinn, ein international anerkanntes politisches Gebilde, wäre der Kalifatstaat kaum“, schreibt der Tagesanzeiger am 26.6.2014, und weiter: „Es gibt ein primitives, aber einheitliches Rechtssystem. Es gibt eine Miliz, die alle Angriffe von aussen abwehrt. Für das, was die Islamisten unter Staat verstehen, reicht dies allemal.“  

 

In der französischen Revolution wurde die Trennung zwischen Kirche und staatlicher Macht, die bis dahin von Gott legitimierten Monarchen ausgeübt wurde, blutig eingeleitet. Der demokratische Rechtsstaat hat die religiösen Gebote abgelöst. Die Vorstellung, dass nur vom Volk legitimerte Macht gehorsam verdient, beruht auf der Aufklärung, die sich kaum hätte entfalten können, wenn nicht die Macht der christlichen Kirche in der Reformation hinterfragt worden wäre. Ian Morris spielt in seiner historischen Zivilisations-Herleitung „Why The West Rules – For Now“ mit dem Gedanken, dass die industrielle Revolution in Europa kaum „gezündet“ hätte, wenn die konservativ-katholische Kräfte die aufstrebenden Anglikaner besiegt hätten. Europa war unter päpstlicher Führung über Jahrhunderte dem chinesischen Kulturraum unterlegen, bis die rom-untreuen Briten die asiatischen Hochkulturen ihrer unmoralische Handelsmacht unterworfen haben (vgl. Opiumkrieg). Wäre die Welt heute gerechter, wenn Europa Rom treu geblieben wäre? 

 

Göttliche Macht beendet das nachhaltig-einfache Jäger & Sammler Leben

Ian Morris hebt anderseits auch die Bedeutung der Religion in der Entstehung der menschlichen Kultur hervor. „Priester“ (oder „Medizinmänner“) waren die ersten Autoritäten, die durch Bündelung und Lenkung menschlichen Schaffens erstaunliche kulturelle Errungenschaften erreichten. Jäger & Sammler lebten wie Tiere ohne Götter und Autorität, sie lebten im Überfluss, sie jagten oder fischten soviel sie brauchten, was kein Problem ist, solange sich die Population nicht wächst. Während der Eiszeit beginnen Menschen im Zweistromland jedoch die Evolution zu prägen, indem sie vom Mangel geprägt vorzugsweise grössere Körner sammelen und solche wieder aussähen. Über Jahrtausende wird Gras zu Korn - ohne menschliche Nutzung könnten sich Körner, die bis zur Ernte in den Spelzen haften bleiben, nicht durchsetzen. Die mit der Landwirtschaft sesshaft gewordenen Siedler stehen nach der Eiszeit vor der Entscheidung: Ernten wir klimabedingt mehr Ertrag und vermehren uns, oder weniger arbeiten? Die Siedler haben sich wohl unbewusst für den ersten Weg entschieden und mit ihrem Wachstum nach und nach Jäger & Sammlerkulturen verdrängt. 

 

Sesshaft das Erbe der Ahnen zu pflegen - ein kultiviertes Stück Land - wurde zum Erfolgsfaktor. Damit entstand ein Ahnen-Kult - sie wurden unter den Hütten begraben und ihre Schädel beschmückt und verehrt. Ansehen erlangten Menschen, die "mit den Ahnen in Kontakt treten konnten"; die Erfahrung weitergaben und vor kommenden Schlechtwetterperioden warnen konnte. Solche Menschen - ob Priester oder "Medizinmann" genannt - konnten andere zu kollektiven Leistungen anspornen. Unter der Führung von Priestern können gemeinsam Bewässerungssysteme und Kornspeicher gebaut und bewirtschaftet werden. Organisation erlaubt grössere Siedlungen - irgendwann Städte. 

 

Fortschritt durch Organisation spart Arbeit; einen Teil der gesparten Arbeit setzten die Priester-Könige zum Bau von Kultstätten ein, die wiederum ihren Einfluss stärkten: Wer (durch geschickte Organisaiton seiner Untertanen) solche Tempel errichten kann, dem müssen die Ahnen wohl gesinnt sein, der muss etwas göttliches haben. Die ägyptischen Pharaonen waren Könige und Götter zugleich. Da diese Götter doch sterblich waren, wird es später üblich, dass die Herrscher Stellvertreter Gottes sind. Wie mächtig ihr Reich wurde, ist abhängig davon, wie gut sie sich organisierten, bzw. wie zweckmässig die Gebote waren, die ihnen Ihr Gott auferlegte. Die Gebote, die Jesus von Nazareth weiter gegeben hat, waren evolutionär scheinbar erfolgreich. Wie die ersten Priester, die die Schädel der Ahnen verehrten und ihre Weisheit kultivierten, entstehen in Europa Monarchien, die auf die christliche Kirche aufbauen. 

 

Ich anerkenne die Religion als prägendes Element für die Organisation und Entwicklung unserer Gesellschaft. Eine Art "Macht Gottes" wirkt durch die Fähigkeit von Religions-Gelehrten, Menschen von einer gemeinsamen, konstruktiven Ethik und Moral zu überzeugen. Wenn alle davon überzeugt sind, das Gebot "du sollst nicht töten" einzuhalten, dann wird es keine Morde mehr geben. Die göttliche Macht ist nur so stark wie die Menschenmenge, die an sie glaubt. Somit lässt sich die "Allgegenwärtigkeit Gottes" erklären, denn er lebt nur durch die Menschen, die an seine Prinzipien glauben. Um die Macht Gottes zu stärken biete sich das bekehren von Ungläubigen an; Religionskriege sind eine Rivalität göttlicher Prinzipien. So wie europäische Jäger & Sammler von wachsenden religiös-organisierten Siedler-Populationen aus dem Ur-Kulturraum zwischen Euphrat und Tigris verdrängt wurden, werden auch die nachhaltig-natürlichen Kulturen in Afrika und die Indianer in Amerika verdrängt von wachsenden religiösen Machtstrukturen.

 

Ist Demokratie gerechter als göttliche Macht?

In der Reformation wurde von Herrschern ausgekostete göttliche Macht hinterfragt. Das sich nach der französischen Revolution verbreitende Demokratie-Verständnis beweist, dass die "Macht Gottes" bzw. der gemeinsamen Ethik nicht von einem kirchlich legitimierten Monarchen diktiert werden muss. Ein Volk ist frei, wenn es selbst darüber abstimmen kann, nach welchen Prinzipien und Gesetzen es leben will. Staats-Verfassungen sind geprägt von religiösen Grundwerten. Die Religion hat uns zu den "zivilisierten" Menschen gemacht, die wir sind - so gesehen hat "Gott" uns geschaffen. Auch wenn die Kirche heute noch ihre Berechigung haben mag, insbesondere in der Fürsorge, so hat sie doch ihre gesellschaftsentwickelnde Macht in demokratischen Staaten an den Volkswillen abgetreten. 

 

Wenn heute alle Stimmbürger davon überzeugt wären, (wie sie vom "du sollst nicht töten" überzeugt wurden,) dass die Nutzung von fossilen Brennstoffen und Nuklearenergie die Überlebensperspektive der Menschheit mindert, so würde niemand mehr diese Energieformen nutzen, ein Gesetz würde sie verbieten - und das Umweltproblem wäre tatsächlich gelöst. Im heutigen Demokratie-Verständnis ist es nachvollziebar, dass ein Teil der Stimmbürger aus Bequemlichkeit nicht auf billige fossile Energie verzichten will, oder dass ein entsprechendes Gesetz bekämpft würde, weil ein Verzicht "realitätsfremd" sei. Jeder soll seine freie Meinung haben können, doch wenn die Demokratie die Rolle der Religion als konstruktive Entwicklungskraft der Menschheit übernehmen soll, so sollte bei Abstimmungen nicht gefragt sein, was ich als Stimmbürger will oder für machbar halte. Wer das Privileg hat, über Gesetze und die Zukunft eines Volkes entscheiden zu dürfen, sollte verantwortungsbewusst abwägen, was uneigennützig richtig oder falsch ist. In einer Demokratie, wo die Abstimmungsdebatte geprägt ist Kosten-Argumenten - die Massnahme hemme das Wirtschaftswachstum - wird dem Stimmbürger Arbeitslosigkeit angedroht. Er stimmt gegen die ethisch wünschbare Massnahme stimmt, woraus der Financier der Abstimmungskampagne ein stattlicher Gewinn ziehen kann.

 

Demokratische Macht mit ethischer Verantwortung

Dass über die letzten 200 Jahre politische Institutionen entstanden sind, die es uns erlauben, aktuellen Herausforderungen mit demokratisch legitimierten Gesetzen anzugehen, ist ein grosser Fortschritt. Um die Eigeninteressensdiskussion zu überwinden, würde ich der Legislative ein Problemlösungszyklus empfehlen, wie er wissenschaftlich und in der Wirtschaft angewandt wird (System Engineering für sozio-ökonomische Fragestellungen, Rainer Züst). Anstatt dass Ja oder Nein zu einem Vorschlag gesagt werden kann und bei Nein alles beim Alten bleibt, sollte in einer ersten Phase ein Problemverständnis erarbeitet werden. Wenn eine Partei ein Problem angehen will, soll sie vorerst eine Situationsanalyse erarbeiten, welche die heutigen Zusammenhänge und beeinflussbare Parameter aufzeigt, und abschätzt, wie sich die Zukunft entwickelt, wenn die Parameter unverändert bleiben. Andere Parteien können die Situationsanalyse aus ihrer Sicht überarbeiten, bis ein gewisser Konsens erreicht ist, was das Problem ist (erste Abstimmung). Wenn eine Mehrheit auf dem Gebiet kein Problem sieht, muss nicht über Lösungen debattiert werden. Wenn man sich hingegen über eine Problemsituation bewusst ist, so ist jede Partei dazu aufgerufen, ein Lösungskonzept dazu zu erarbeiten. Die zweiten Abstimmung - ggf. durch das Volk - ist die Frage, welches Lösungskonzept am meisten Zuspruch findet. Einfach Nein zu einem Lösungsvorschlag zu sagen ist keine Lösung. Unter diesen Umständen wird es schwieriger, ...

 

Unsere Gesellschaft kann sich in jede Richtung ändern, wenn alle von der Richtungsänderung überzeugt wären. Hunger, Kriege, Ressourcenübernutzung und Umweltschäden - das liesse sich überwinden - man kann jedoch die Uneinigkeit über den Lösungsweg als Konfliktquelle sehen. Die Evolution wird entscheiden, was sich durchsetzt. Die katholische Kirche hat sich erfolglos gegen die „Mutation“ Reformation gewehrt. Die Demokratie muss heute offen sein für Mutationen, um die Überlebenswahrscheinlichkeit zu erhöhen. 

 

Ich habe die Macht der Gläubigen, die durch ihre Überzeugung entsteht, vorerst als vermeintlich "göttliche" Macht bezeichnet. Ich halte es für wichtig, zu erkennen, dass das Schicksal der Menschengemeinschaft von ihrem kollektiven Handeln selbst abhängt und man nicht auf eine Lenkung Gottes warten kann, welche jene belohnen wird die die Gottesverehrung als Selbstzweck betrieben haben. Die einzigen Grenzen, an welchen die menschlich-kollektive Macht stösst, sind Naturgesetze. Wir mögen Sie noch nicht bis ins letzte Quantum erforscht haben, doch wenn wir sie nicht beachten – wenn unsere Zivilisation von limitierten fossile Brennstoffe abhängig ist und wir damit einen Klimawandel provozieren – kann uns kein Glaube vor einem Niedergang bewahren. Ich glaube nicht an einen Gott, der gewisse Sünder mit gewissen Ereignissen straft. Gott wirkt nicht durch individuelle Taten und Entscheide, eher kann Schöpfung Gottes in den Natursgesetzen identifiziert werden. Naturkatastrophen haben eine Ursache und oft tödliche Wirkung. Ebenso hat der Konflikt im Irak eine Ursache. Dass Nordamerika und Europa den Nutzen und die Knappheitsrendite aus der teuflischen Kraft des Höllen-Erdöls zukommt, ist nicht gerecht. Unter der "Flagge Gottes" lässt sich Macht mobilieren, im Kampf um Gerechtigkeit, im Kampf um die Knappheitsrendite. 

 

Die weisen Propheten, die unweit der heutigen Kämpfe vor 2000 Jahren die Bibel geschrieben haben, konnten die Missstände noch nicht erahnen, die eine x-fach vermehrte Menschheit an die Grenzen des Wachstums stossen lässt. Der Glaube an ein gesundes Wirtschaftswachstum ist auch eine Art Religion; doch statt der Religion blindlings Glauben zu schenken, gilt es Entwicklungsfaktoren zu verstehen uns selbstlos Verantwortung zu übernehmen und Lösungen zu erarbeiten. 

 
Heini Studer, Juni 2014

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