Wie eine Mehrgenerationen-Nachbarschaft aussehen könnte, möchten wir im nachfolgenden skizzieren und mit ein paar Zahlen greifbar machen. Wobei bereits einige Beispiele von ähnlichen Wohnformen Erfolg versprechen können. Rückmeldungen willkommen.
Mehrgenerationen-Bewohner - der Schweizer Durchschnitt
Würde eine Nachbarschaft von 100 Personen den Schweizer Durchschnitt repräsentieren, so wohnen in ihr 18 Pensionierte, wovon 5 über 80 Jahre alt sind. Es gibt 20 Kinder unter 20 Jahren, wohl etwa eines pro Jahrgang. 27 Bewohner sind zwischen 20 und 39; 35 zwischen 40 und 64 Jahren.
Nur 52 von den 100 Personen sind erwerbstätig. Das Erwerbseinkommen trägt 76% zum Jahreseinkommen der Nachbarschaft bei, 4% entfällt auf Vermögens- und Vermietung-Einnahmen, 19% kommen aus Sozialleistungen. Nehmen wir an, dass sich das Jahreseinkommen der Nachbarschaft auf 5 Mio CHF summiert (73'000 CHF/Jahr pro erwerbstätige Person, was unter dem CH-Schnitt ist).
Wohnraum - nachhaltiger Lebensraum
Bis vor kurzem nannte man die Schweiz "ein Land von Mietern", doch in jüngster Zeit steigt der Anteil der Eigenheim-Besitzer von 1/3 gegen 1/2. Für Wohnen und Energie gibt der Schweizer im Durchschnitt 15.6% vom Haushaltseinkommen aus. Neben obligatorischen Ausgaben (Steuern, Sozialabgaben, obl. Krankenversicherung) ist "sparen" mit 12.4% der nächstgrösste Verwendungszweck. Diese Geld wird via Bank oder direkt investiert, wobei Wohn-Immobilien eine der zuverlässigsten Anlagemöglichkeiten sind, sofern die Preise nicht spekulativ-hoch sind.
Die Investitionkosten für eine Überbauung mit 40-50 Wohnungen für rund 100 Personen schätzen wir in Anlehnung an die vorbildliche autofreie Minergie-P-eco-Siedlung der npg AG in Bern-Bümpliz auf 15 Mio CHF. Über die Miete sollte jährlich gut 5% vom investierten Kapital fliessen, für Abschreibung, Unterhalt und Verzinsung, d.h. 0.75 Mio CHF/Jahr bzw. resp. 15% vom Jahreseinkommen.
Saubere und sichere Energiezukunft & Mobilität
Der Wärmebedarf der Siedlung wird auf 200 MWh/Jahr, der Elektrizitätsbedarf auf 150 MWh/Jahr geschätzt. Eine Solarstromanlage mit 50 kWp trägt 30% zur (primär sommerlichen) Stromversorgung bei. Der restliche Strom sowie die Wärme für Heizung und Warmwasser wird von einem Blockheizkraftwerk geliefert, das vorerst mit Erdgas, mittelfristig mit Biogas betrieben werden kann. Diese "stromproduzierende Heizung" ergänzt das Solarstromangebot insbesondere in der kalten Jahreshälfte ideal. (Alternative: Holzfeuerung, bedarfsgerechte Stromproduktion dann jedoch schwieriger.)
Der lokal produzierte Strom wird zu 22 Rp/kWh, die Wärme zu 20 Rp/kWh angeboten. Energie-Jahreskosten von 73'000 CHF entsprechen 1.5% vom Jahreseinkommen. Die Kosten für Wohnen plus Energie liegen mit 16.5% leicht über dem schweizer Durschnitt, wobei der Standard 2000-Watt-Kompatibel ist und doch bezahlbar.
Einsparungen werden dafür beim Verkehr angestrebt. 8% gibt der Durchschnittsschweizer für Mobilität aus, wobei die Auto-Mobilität eine der grössten Hürden einer sauberen Energiezukunft ist. Die Nachbarschaft soll möglichst autofrei und mit öffentlichem Verkehr gut erreichbar sein, und Elektromobile sollen zum Car-Sharing angeboten werden. Darüber hinaus soll die Nachbarschaft doch so lebenswert sein, dass man mit weniger Mobilität glücklich sein kann. Lokale Arbeitsplätze und ein Kultur-Angebot werden angestrebt.
Betreuung im Alter und für die Jüngsten
In der durchschnittlichen "100er" Mehrgenerationen-Nachbarschaft wohnen 5 pflegebedürftige Senioren und 5 zu betreuende Kleinkinder. Auch wenn die Betreuungsbedürfnisse sehr unterschiedlich sind, können wir uns eine Symbiose in der gemeinsamen Betreuung vorstellen. Statt im Altersheim auf Besuch zu warten können sich Pensionäre den Kindern annehmen, wobei ergänzend 2 Stellen für eine professionelle Betreuung geschaffen werden. Bei einem Budget von 200'000 CHF wären die Betreuungskosten rund 1'666 CHF/Monat und Person. Dies ist vergleichbar mit den Kosten einer Kindertagesstätte, und Altersheime kosten meist deutlich über 3000 CHF/Monat. Eine pflegebedürftige Person müsste mit rund 900 CHF/Monat für Wohnraum plus 2200 CHF/Monat für die Pflege und Verpflegung kalkulieren.
Gesunde Ernährung "aus dem Garten"
Wer einen eigenen Garten hat, mag die saisonalen Herausforderung kennen: Wohin mit all den Zucchini, wer kann Zwetschgen und Äpfel brauchen? Ein temporäres Schlaraffenland, die meisten nicht-Garten-Besitzer müssen sich jedoch mit dem Bio-Angebot auf dem Markt zufrieden geben. In anbetracht der stattlichen Preise ist es verständlich, dass die besten Exemplare gekauft werden, während viel "brauchbare" Ausschussware zurück bleibt.
Mit dem Modell "Vertragslandwirtschaft" (siehe Beispiel Regioterre) hingegen kaufen wir nicht nur die besten Früchte, sondern sichern uns einen Anteil der Ernte. Der direkte Zusammenschluss von Konsumenten und Produzenten bringt beidseitig Vorteile: Der Landwirt hat Absatzsicherheit, der Gemüseliebhaber frische Ware direkt vom Hof preiswert geliefert. Für rund 1,5% vom Jahreseinkommen erhält man wöchentlich regional-saisonale Gemüse, Früchte, Eier und Getreide. Ein Verteilzentrum in der Nachbarschaft wird angestrebt, je nach Grösse kann Eigenanbau in der Nachbarschaft oder einem assoziierten Landwirtschaftsbetrieb organisiert werden. Neustart Schweiz rechnet für eine 500-Personen-Nachbarschaft mit ca. 8 ha für Obst und Beeren, 2.5 ha für Gemüse und 1 ha für Kartoffeln. Solche 12.5 ha sind für einen Landwirtschaftsbetrieb nicht unüblich. Für Getreideanbau wären weitere 15 ha nötig, für Tierhaltung nochmals 35 ha (60 Kühe, 500 Hühner).
Der Schweizer gibt im Durchschnitt 7% für Nahrungsmittel plus 5,7% für Gaststätten und Beherbergung aus. Ein Gastronomie-Betrieb in der Nachbarschaft ist nicht nur im Hinblick auf die Kinder- und Altersbetreuung sinnvoll. Das Restaurant soll gesundes Essen, aber auch eine gemütliche Atmosphäre für das Gesellschaftsleben bieten - ohne Konsumzwang.
Eigentumsverhältnisse und lokaler Wirtschaftskreislauf
Der Verein Neustart Schweiz nimmt an, dass 500 Personen eine gute Grösse für eine Nachbarschaft mit eigener Lebensmittelversorgung ist. Die Investitionskosten wären dann 65 Mio CHF plus ggf. 2-3 Mio CHF für Landwirtschafts-, Gastro- und Gemeinschafts-Infrastruktur. Gut 15 Personen könnten nachbarschafts-intern arbeiten, in Lebensmittelproduktion/verarbeitung, Betreuung und Verwaltung/Unterhalt. Der Jahresumsatz der Nachbarschafts-Unternehmung könnte bei rund 6 Mio CHF liegen, was rund 1/4 vom Nachbarschafts-Jahreseinkommen entspricht. Lebensraum, Energie, Essen und Betreuung ist damit nachhaltig-lokal sichergestellt.
Eigentümer und Betreiber der Nachbarschaft könnte eine Genossenschaft oder Aktiengesellschaft sein, kapitalisiert durch die Bewohner und auch andere Interessenten. Der Bewohner ist Eigentümer und Kunde zugleich (Identitätsprinzip Genossenschaftswesen). Die Stakeholder werden nicht gegeneinander ausgespielt, die Bewohnerschaft muss sich selbst klar werden, ob sie tiefere Mieten oder eine höhere Kapitalrendite will. Auch die nachbarschafts-internen Angestellten sind stimmberechtigt; je mehr Leistungen intern ausgetauscht werden - z.B. Angliederung Handwerks-/Textilbetriebe, IT- und Kultur-Dienstleistungen - umso mehr schliesst sich der Kreis der Verantwortung.
Für das nachbarschafts-internen Wirtschaften kann eine Lokalwährung in Betracht gezogen werden. Der CHF ist vorerst ein praktischer Wertmasstab, aber langfristig sind Nationalwährungen selten ein gutes Wertaufbewahrungsmittel. Ihr Wert beruht auf der "Akzeptanz", ist jedoch weder durch Gold noch durch Sacheinlagen gedeckt. Die Investition in das eigene Nachbarschafts-Unternehmen ist insofern werthaltig, als dass die eigene Lebensgrundlage daraus resultiert. Um liquide zu bleiben, kann ein Teil der Anteilsscheine als Geld nachbarschafts-intern zirkulieren. Miete und Nachbarschafts-Dienstleistungen könnten in Anteilschein-Geld abgerechnet werden. Vorerst mag der Wert analog dem Wertmasstab CHF festgelegt werden, mittelfristig mag das Anteilschein-Geld jedoch mehr Wert sein, analog dem Wert der Immobilie und Infrastruktur, die als Deckung dahinter steht. Als Variante können Zeitgeld-Ansätze diskutiert werden; eine Lokalwährung unterstützt jedenfalls die lokale Wirtschaft.
Während die Nachbarschaft den Konsumkreislauf weitgehend lokal-nachhaltig schliessen mag, bleibt die Produktion von Investitionsgütern in der "Aussenwirtschaft". Investitionsgüter (wie Maschinen) können die Produktion steigern; die Investitionsgüterindustrie hat viel Wirtschaftswachstum ermöglicht, ist jedoch die erste, die Konjunkturphasen spürt und prägt. Wenn die "Grenzen des Wachstums" erreicht sind, brauchen wir keine neuen Auto mehr (und auch weniger Maschinen). Es wird immer schwieriger die energieintensive Wirtschaftsmaschinerie aufrecht zu erhalten; Marketing-Stellen werden geschaffen, um (z.B. Automobil-) Arbeitsplätze zu sichern. (Gut 2% der Schweizer sind im Handel und Reparatur von Motorfahrzeugen beschäftigt, im Gross- und Detailhandel allgemein weitere 13%, in der Landwirtschaft weniger als 4%.) Investitionsgüter-Hersteller sollen nach kapitalistischen Konkurrenz-Regeln Erfolg haben oder Konkurs gehen können - solche Arbeitsplätze sollten nicht zwangshaft aufrecht erhalten werden - wir brauchen nicht mehr, und können uns im ökologischen Gleichgewicht langfristig auch nicht mehr leisten. Der Nachbarschafts-Konsumkreislauf ist eine stabile Lebensgrundlage ohne Wachstumszwang; unabhängig von der volatilen Aussenwirtschaft.